Operational Excellence für innovative Konzepte der Bestandsvisualisierung

Kompetenzorientiertes Lernen ist darauf ausgerichtet, Studierende beim Aufbau handlungsrelevanter Fähigkeiten und Verhaltensweisen zu unterstützen. Besonders eignen sich hierzu Lern-Lehr-Settings, wie Sie an der HS Kaiserslautern/Zweibrücken im Rahmen des Kompetenzzentrums OPINNOMETH immer wieder als Kooperation mit regionalen und überregionalen Firmen aufgebaut werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Anwendung des Erlernten in der Praxis bei gleichzeitigem Kompetenzaufbau durch unmittelbares Feedback und Realitätsbezug.

Die Studierenden im Masterstudiengang „Logistik & Produktionsmanagement“ konnten bei einem großen metallverarbeitenden Betrieb im Rahmen einer einwöchigen Blockveranstaltung im Sommersemester 2014 ihre Kompetenzen in den Bereichen Bestände und Bestandsvisualisierung im Produktionsunternehmen, industrielle Kommunikation, Set-based-engineering, Technologie sowie weiteren Feldern ausbauen. Die Themenstellung wurde seitens der für Lean-Production zuständigen Stabsabteilung ausgewählt, welche sich im Werk um die Umsetzung der Lean-Prinzipien (also Operational Excellence) kümmert. Aufgrund der hohen Bedeutung des Themas wird im Folgenden auf Detailaspekte des Unternehmens nicht näher eingegangen. Gemeinsam mit Prof. Thurnes arrangierte das Unternehmen für die Studierenden einen Erfahrungsrahmen für die kreative Bearbeitung der Fragestellung „Wie können die Bestände in einem Produktionsbetrieb in Echtzeit visualisiert werden, um aus Perspektive des Lean-Management permanent den Status der Wertströme erkennen zu können?“ Nach wechselnden Gruppenarbeiten wurden am Ende der Blockwoche die Ergebnisse Führungskräften und Mitarbeitern verschiedener Bereiche präsentiert, welche die Ansätze und Anstöße nun prüfen und weiterverfolgen.Eine Verwertbarkeit der Ergebnisse für das Unternehmen ist hierbei nicht nur Nebeneffekt, sondern im Sinne einer konsequenten Entwicklung von Handlungskompetenzen gleichzeitig auch Validierungsmaßstab, um kompetenzorientiertes Lernen zu beurteilen. Sowohl die Verantwortlichen im Unternehmen, als auch Prof. Thurnes sind vor diesem dualen Hintergrund sehr zufrieden mit Ergebnissen und Kompetenzaufbau der Studierenden. 

Set-based-engineering: Nicht zu früh fokussieren!

Nach einer Begrüßung im Werk wurde die Themenstellung in einem kreativen Schritt zunächst sehr offen und allgemein betrachtet. Fachlicher Mittelpunkt der Blockwoche sollte der Umgang mit Beständen im Produktionssystem sein – während diese in klassischen Kontexten oftmals einfach nur als lästige und zu senkende Kennzahl betrachtet werden, ist im Rahmen moderner Produktionssysteme die vielfältige Bedeutung von Bestand zu beachten. Auch hier ist Bestand zu senken, aber durch das zielgerichtete Verändern der Wertströme über einen gewissen Zeitraum hinweg – es kommt also auf das „Wie“ an. Hierzu ist wiederum die Kenntnis der tatsächlichen Bestände in Echtzeit erforderlich – und um genau diese Kenntnis zu beschaffen, konnten die Studierenden tragfähige innovative Konzepte erarbeiten.Der erste Arbeitsschritt richtete sich eineinhalb Tage lang darauf, die Situation zu verstehen und zunächst möglichst viele unterschiedliche grundsätzliche Realisierungsansätze zu finden. Nach den Grundprinzipien des sogenannten set-based-engineering ging es also nicht gleich darum, eine anscheinend optimale Konzeption zu bestimmen, sondern eine Vielzahl theoretisch und praktisch möglicher Konzepte als eine Art „Lösungskatalog“ vorzuschlagen – jeweils mit Bestimmung zugehöriger Einsatz- und Rahmenbedingungen sowie prinzipieller Vor- und Nachteile.Diese Vorgehensweise dient dazu, vor der Umsetzung eines konkreten Konzeptes die eigene Wissensbasis gezielt auszudehnen und somit über eine fundierte Basis für spätere und weitere Entscheidungen zu verfügen. 

Change to lean: Anders Vorgehen heißt auch Sich Verändern

Set-based-engineering ist wesentlicher Bestandteil des Lean Product Development, wie es mittlerweile von vielen Firmen angewendet wird. In der Praxis vieler europäischer Unternehmen erweist sich diese bei Toyota berühmt gewordene Vorgehensweise, zunächst ein breites Wissen aufzubauen, bevor auf einige wenige Alternativen fokussiert wird, jedoch oft als schwer erklärbar.Üblich sind bei uns eher Vorgehensweisen, die zwar auf Alternativen abzielen, diese aber möglichst schnell und in überschaubarer Anzahl ermitteln möchten. Im Gegensatz dazu ist es eines der Kennzeichen japanischer Entwicklungskonzepte, Auswahlentscheidungen sehr spät erst zu treffen – und nun kommt das Schwierige – und dennoch mit diesem Vorgehen kürzeste Entwicklungszeiten zu realisieren. Anscheinend ein Widerspruch, der sich nur durch „Erfahren am eigenen Leibe“ auflösen lässt.Die Studierenden konnten dieses Spannungsfeld kennen lernen, in dem sie gezielt zunächst die Breite der Möglichkeiten erkunden mussten, ohne sich dabei schon vorfestlegen zu dürfen und den Fokus zu früh einzuengen. Drei Studierendengruppen hatten Lösungskataloge erarbeitet, die seitens des Unternehmens genutzt wurden, um hieraus fünf Ansätze für die weitere Konkretisierung auszuwählen. Während im ersten Schritt die Gruppen also „konkurrierend“ an der gleichen Fragestellung gearbeitet hatten, sollte nun nach einer Feedbackphase zu Vorgehensweise und Ergebnissen die „Spezifizierung“ in fünf Gruppen zu unterschiedlichen Themen stattfinden. 

Wissensbasiertes Vorgehen

In den folgenden drei Tagen bearbeiteten die Gruppen die ihnen jeweils zugewiesenen Konzepte aus den Lösungskatalogen. Experten des Unternehmens aus den Bereichen Produktion, Lean Management, Elektronik und EDV hatten hierzu ganz bewusst Konzepte ausgewählt, die sehr breit gefächert waren, um auch für das Unternehmen die Wissensbasis stark auszubauen.Es wurden Konzepte ausgewählt, die auf dem Einsatz aktuellster High-Tech-Komponenten basierten. Aber genau so interessant waren auch Konzepte, die durch Low-Tech-Nutzung Vorteile in Umsetzungskosten und -geschwindigkeit, Flexibilität und Funktionssicherheit erzielen könnten. Das Erkunden dieser Spanne ist sehr lehrreich, um nicht im allgemeinen High-Tech-Rausch das tatsächliche Problem aus den Augen zu verlieren. Der Einsatz großer finanzieller Mittel bietet meist die anscheinende Möglichkeit alle Probleme zu lösen – oftmals ist die „kleine“ Lösung mit „Grips“ aber mindestens genau so interessant.Unabhängig vom einzelnen Konzept galt es nun für alle Gruppen, schnellstmöglich die für das jeweilige Thema relevanten Daten, Fakten, Prinzipien und Möglichkeiten zu recherchieren und die Rechercheergebnisse zu bewerten und aufzubereiten. Die geringe zur Verfügung stehende Zeit erforderte hierbei die Entwicklung geeigneter Arbeitsmuster, von effizienter Gruppenarbeit bis hin zu Strategien zur Informationsgewinnung bei potentiellen Lieferanten entsprechender Gerätschaften.Die Studierenden, welche im Vorstudium in der Regel bereits Wirtschaftsingenieurwesen oder Technische Betriebswirtschaftslehre absolviert hatten, konnten in diesem Schritt eine ihrer Kernkompetenzen weiterentwickeln, nämlich sich schnell in unbekannte Schnittstellenfelder von Technik und Organisation einzuarbeiten. 

Operational Excellence an Gemba: der Ort des Geschehens zählt

Im weiteren Verlauf der Gruppenarbeiten wurden intensiv die Gegebenheiten vor Ort erkundet. Getreu des Grundprinzips der Operational Excellence, die realen Dinge am realen Ort des Geschehens (jap.: Gemba) zu beachten, konnten die Studierenden im Werk unterschiedlichste Standorte, Lagerorganisationsformen, Lager- und Transportmittel etc. erforschen, um ihre jeweiligen Konzepte von einem „theoretisch machbar“ auf ein „hier umsetzbar“ weiter zu entwickeln.Es sind oft die kleinen Aha-Effekte vor Ort (wie z. B. eine Säule, wo man sie nicht gebrauchen kann), die schlüssige Konzepte schlagartig kippen oder aber neue Ideen aus dem Nichts heraus entstehen lassen.Die Untersuchungen vor Ort wurden von den Teams auch genutzt, um die Quantifizierung ihrer Konzepte voranzutreiben, also zumindest auch Schätzungen über verbundene Anschaffungserfordernisse und –kosten treffen zu können.Neben der Visualisierung von Beständen in Echtzeit waren durch die Teams auch einige damit verbundene Kommunikationsaspekte (sogenannte Andon-Calls) zu durchdenken. Insbesondere hierbei zeigte sich die Besichtigung der realen Gegebenheiten als extrem wertvoll. Die Abschätzung welche Kommunikationsformen und –hilfsmittel an welchem Ort eingesetzt werden könnten, wurde nun an die realen Gegebenheiten angepasst. 

Präsentation und Reflexion

Die Präsentation der einzelnen Gruppenergebnisse vor Unternehmensvertretern und Prof. Thurnes war dadurch gekennzeichnet, möglichst wenig aber ausreichend viel Information schnell und strukturiert zu vermitteln. Obgleich das Medium freigestellt war, wurden die meisten Präsentationen mit der üblichen Computerfolien-Darstellung ausgeführt – gleichzeitig wurde aber auch der erfrischende Charakter alternativer Möglichkeiten (wie z. B. handschriftlich erstellte Charts) deutlich.Nach einer kurzen fachlichen Diskussion jedes einzelnen Konzeptes bedankten sich Aufgabensteller und Betreuer bei den Studierenden, welche die Dokumentationen ihrer Konzepte noch überarbeiteten und im Nachgang einreichten.Beim kompetenzorientierten Lernen ist die realitätsnahe Lernsituation von großer Bedeutung. Aber es ist auch wichtig, nach Abschluss der Aktivitäten die Perspektive zu wechseln, um den Ablauf und die eigenen Handlungen zu reflektieren. Im Rahmen eines unmittelbaren Feedback-Gesprächs bestand hierzu noch vor Ort die Möglichkeit. Weitere Reflexionsschleifen wurden in einer folgenden Veranstaltung an der HS Kaiserslautern/Zweibrücken sowie durch die Nachbereitung der Dokumentationen eröffnet. 

Kompetenzorientiertes Lernen: Nutzen für alle Beteiligten

Die geschilderte Veranstaltung erlaubte es, die Studierenden beim Aufbau wesentlicher berufsrelevanter fachlicher, methodischer und sozialer Kompetenzen zu unterstützen. Der entsprechende Organisationsaufwand und die geringe Eignung zur direkten Reproduzierbarkeit der Lehrveranstaltung verlangen jedoch von beteiligten Unternehmen und HS-Personal entsprechenden Einsatz. Dieser lohnt aber die Mühe: sowohl die Arbeitsergebnisse als auch die meisten Feedbacks zeugen vom positiven Lernerfolg der Studierenden. Und auch im Unternehmen konnten auf diesem Wege Einblicke und Ideen gesammelt werden, welche den Experten vor Ort als Wissensbasis und Ausgangspunkt für die Bearbeitung aktueller Herausforderungen dienen.Prof. Thurnes vom Kompetenzzentrum OPINNOMETH freut sich vor diesem Hintergrund auf weitere Kooperationsmöglichkeiten mit kleinen und großen Unternehmen rund um das kompetenzorientierte Lernen zu Themen aus Feldern des Lean Management. 

Prof. Dr.-Ing. Christian M. Thurnes, HS Kaiserslautern