Sylvia Heib: „Der Wille ist wichtig“

Vor 13 Jahren war schon einmal über Sylvia Heib im ehemaligen Hochschulmagazin Rundschau zu lesen. Damals war sie als frischgebackene Bachelor-Absolventin der Informationstechnik portraitiert worden, die den Mut und die Ausdauer hatte, nach einer langen Familienphase mit 41 Jahren nochmals ein duales Studium zu beginnen und neben den familiären Verpflichtungen sehr gut abzuschließen. Jetzt wollten wir wissen, welche Erfahrungen sie mit dem Berufseinstieg und im Berufsleben gemacht hat.

„Nachdem ich auf indeed ein Profil mit Berufswunsch angelegt hatte, konnte ich mich vor Anfragen kaum noch retten“, erinnert sich die heute 58jährige an die Zeit, als sie gerade ihr Bachelor-Zeugnis in der Tasche hatte. Sie entschied sich letztlich für eine Stelle beim Technologie-Dienstleister FERCHAU, die ihr eine Tätigkeit in der Entwicklung bei ZF in Saarbrücken ermöglichte, einem weltweit aktiven Technologiekonzern, der vor allem Automobilhersteller, Mobilitätsanbieter und neu entstehende Unternehmen im Bereich Transport und Mobilität beliefert.

Die Arbeit in der Entwicklung bereitete ihr zwar viel Freude und mit ihrem Bachelor der Hochschule fühlte sie sich auch gut gerüstet für ihre Tätigkeit, aber mit den Jahren merkte sie, dass sie sich eine neue Herausforderung wünschte: „Ich habe mich einfach noch nicht komplett gefühlt“, erinnert sie sich.

Mit fünfzig schließlich gab ein Schlüsselerlebnis den Anstoß für den nächsten Karriereschritt. Fasziniert bei ZF war die Ingenieurin insbesondere von der Logistik, die ermöglicht, dass in dem Unternehmen mit mehr als 160.000 Mitarbeitenden an 161 Produktionsstandorten in 30 Ländern alles rund läuft: „Das ist wie eine Kleinstadt – sechs riesige Hallen mit Produktionslinie neben Produktionslinie – kilometerlang“, beschreibt sie ein typisches Werksgelände. Wie in einem Ameisenhaufen sei alles ganz genau aufeinander abgestimmt. Von der kleinsten Schraube im Wareneingang, über die Montage der Einzelteile in den verschiedenen Produktionslinien, bis hin zum fertigen Produkt wie zum Beispiel ein Getriebe oder ein elektronischer Antriebsstrang. Jeder einzelne Produktionsschritt baut auf dem vorherigen auf. „Plötzlich habe ich mich gefragt“, erinnert sie sich, „was passiert, wenn hier jemand reinhackt, und alles zusammenbricht, wenn schließlich von den ausgelösten Kettenreaktionen auch menschliche Schicksale betroffen sind.“ Da sei ihr klargeworden: „Das will ich verhindern.“

Jetzt galt es, sich die erforderliche Expertise anzueignen. Ein berufsbegleitendes Masterstudium „IT-Sicherheit und Forensik“, der Hochschule Wismar, erschien als ideale Lösung. An ihrem 51. Geburtstag kam der Brief mit ihrer Zulassung zum Studium und die Freude war groß.

Dennoch empfand sie das Studium als „sehr anstrengende Zeit“, neben Vollzeit-Berufstätigkeit und Familienpflichten sich die gesamten Studieninhalte im Selbststudium anzueignen, war eine große Herausforderung. Fürs Studium und Prüfungsvorbereitungen gingen sämtliche Wochenenden und der gesamte Jahresurlaub drauf, denn eine Freistellung gab es vom Arbeitgeber nicht. So freute sie sich umso mehr, dass für ihre Masterarbeit, in der sie einen Prozess zur Anomalie-Erkennung in Produktionsabläufen entwickeln wollte, eine Teststrecke bei ZF aufgebaut werden sollte. Hier hätte sie ihren Anomalie-Erkennungs-Prozess und ein ausgewähltes Toolset prüfen können, das sofort erkennen sollte, wenn im Produktionsprozess etwas aus dem Takt gerät – lange bevor sich dies in den Arbeitsergebnissen auswirkt.

Leider kam ihr die Pandemie in die Quere und aus der Teststrecke wurde nichts. Aber Sylvia Heib nimmt solche Herausforderungen stoisch an, ganz nach dem Motto „es gibt keine Probleme, für die es nicht auch eine Lösung gibt“. Sogar das Angebot, ihre Master-Arbeit kostenfrei aufschieben zu dürfen, schlug sie aus und kümmerte sich selbst um eine Alternative zur Teststrecke. Diese fand sie bei einer spanischen Universität, die virtuell an ähnlichen Problemen arbeitete und entsprechendes Know-how zur Verfügung stellte, mit dem sie ihre eigene Entwicklung ebenfalls virtuell ausarbeiten konnte.

Vom Ergebnis waren sowohl ihre Universität, die sie mit der Note 1,3 bewertete, als auch ihr Arbeitgeber begeistert, der ihr umgehend eine Stelle als IT-Security-Consultant anbot. Inzwischen ist sie neben ca. 50 Beschäftigten in der IT-Security eine von fünf Expert*innen im weltweit agierenden Unternehmen, die den Gesamtüberblick haben. Sie sei jemand, die einen Blick dafür habe, Strukturen im Chaos zu erkennen, was ihr oft den entscheidenden Schritt voraus gewährt.

Ihre Motivation ist die Absicherung der Produktion, die nicht nur durch Cyber-Angriffe, sondern auch durch andere Störungen im Betriebsablauf gefährdet ist. Als Beispiel nennt die Ingenieurin Leckagen, die nicht immer sofort bemerkt und geortet werden können, aber enorme Kosten verursachen.

Ein Produktionsstandort in Frankreich zum Beispiel setzt einen Roboterhund ein, der in den Produktionshallen permanent Druckluftleitungen nach Leckagen absucht und auch kleinste Defekte sofort identifiziert und der Qualitätssicherung meldet.

Frau Heib betreute dieses Projekt aus dem Blickwinkel der IT Sicherheit und sorgte für eine umfassende Absicherung des gesamten Systems gegen Angriffe oder Störungsversuche aus dem Cyber-Raum.

Ihr eigentlicher Arbeitsschwerpunkt ist aber die Absicherung von Systemen, die in der Cloud arbeiten. Was immer beliebter, weil kostengünstig ist, birgt auch Risiken, die Sylvia Heib im Blick und passende Lösungen parat haben muss. Dabei gilt es auch zwischen dem finanziellen Aufwand und dem angestrebten Grad an Sicherheit abzuwägen. Nahezu hundertprozentige Sicherheit sei in der Regel nur zu einem Preis zu haben, der nicht tragbar ist. Also gilt es, das Bestmögliche herauszuholen.

Von ihrem Arbeitsplatz in Neunkirchen aus ist sie weltweit beratend in Kontakt mit den Produktionsstandorten. Dabei muss sie nicht nur den ganzen Tag Englisch sprechen, sondern sie muss sich auch auf kulturelle Unterschiede in der Kommunikation einstellen. Die ständig neuen Herausforderungen, denen sie bei ihrer Arbeit begegnet, empfindet sie als „Spaß“ und auch die Notwendigkeit, sich permanent weiterbilden zu müssen, kommt ihr entgegen: „Wenn ich nichts Neues lernen kann, wird mir schnell langweilig“, sagt sie. Spannend ist für sie der zunehmende Einsatz von KI, wobei ihr auch die moralischen Herausforderungen, die es zu durchdenken gilt, bewusst sind.

Auch die Schwierigkeiten, die man als Frau in einem männerdominierten Berufsumfeld haben kann, sind Sylvia Heib nicht fremd. Aber auch hier sucht sie eher nach der Lösung als zu klagen. „Sie müssen Männer lesen und lernen, damit umzugehen, wenn sie gut mit ihnen zusammenarbeiten möchten“, ist ihr Credo. Mit ihrer umfassenden Expertise kann sie gelassen auch in schwierige Gespräche gehen und da sie, die sich selbst als „Lern-Junkie“ bezeichnet, sich stets und schnell neues Wissen aneignet, kann sie immer gestärkt in den erneuten Diskurs gehen.

Über die Jahre hat sie eine große Gelassenheit erlangt: „Man muss nicht mit jedem können“, sagt sie und findet, dass man als Frau auf keinen Fall den Fehler machen sollte, Dinge persönlich zu nehmen oder Männer kopieren zu wollen, denn „das erkennen Männer nicht an“, ist sie überzeugt. Für sie ist es vielmehr wichtig, zu wissen, wie Männer agieren, aber selbst immer Frau zu bleiben.

Gefragt nach ihrem Rat für aktuelle Studierende, um gut durchs Studium und in den Beruf zu kommen, antwortet sie: „Der Wille ist wichtig. Man muss es wollen, auch wenn die äußeren Umstände schlecht sind. Wenn der Wille da ist, kann man Vieles schaffen.“