Abenteuer Studium

Eine solche Exkursion für angehende Architekt*innen, Innenarchitekt*innen und Bauingenieur*innen gibt es nicht alle Tage. Rund 60 Student*innen der Hochschule Kaiserslautern haben ein Gemeindehaus in einem kleinen indigenen Dorf auf den Philippinen gebaut. Hauptsächlich Bambus kam als Baumaterial zum Einsatz. Für das Projekt wurde ein detaillierter Arbeitsplan aufgestellt, insgesamt 25 Arbeitstage wurden eingeplant. Initiiert haben das spektakuläre Vorhaben Prof. Dipl.-Ing. Brigitte Al Bosta  und Prof. Dr.-Ing. Carina Neff vom Fachbereich Bauen und Gestalten. Insgesamt hat die Vorbereitungsphase in Theorie und Praxis an der Hochschule Kaiserslautern fast zwei Jahre gedauert. Lesen Sie, was den Professorinnen und Student*innen in der Rückschau wichtig ist.

Seit wann ist das Projekt beendet?
Prof. Dipl.-Ing. Brigitte Al Bosta: Die Einweihungsfeier war für Donnerstag, den 14. März, um 16:00 Uhr geplant. Erst eine Stunde vor Beginn der Feierlichkeiten waren alle Arbeiten abgeschlossen.
Prof. Dr.-Ing. Carina Neff: In der letzten Woche mussten wir viele Überstunden machen, teilweise haben wir noch nach Einbruch der Dunkelheit gearbeitet. Wir wollten unbedingt rechtzeitig zur Einweihungsfeier fertig werden.

Wie hat die Übergabe an das Dorf stattgefunden?
Al Bosta: Während einer wunderschönen Abschlussfeier wurden viele Reden gehalten. Umrahmt wurden diese von einem traditionellen Tanz der indigenen Bevölkerung im Dorf Mamanwa und Liedern der Kinder des Dorfes. Der offizielle Teil umfasste eine ribbon-cutting ceremony mit dem Vizebürgermeister der Stadt Surigao Alfonso Casurra, dem Barangay Captain (das ist der Verwaltungschef der Dörfer, die zur Stadt gehören) Norberto Bruzon und dem Tribal Leader (Datu) Demetrio, quasi dem Dorfchef.
Neff: Dazu gehörte auch der Übergabevertrag. Das Gemeindezentrum gehört jetzt dem Dorf. Und die Bewohner*innen verpflichten sich, das Gebäude instand zu halten. Nach der amtlichen Prozedur haben wir das gesamte Dorf, das Bürgermeisterteam und das Barangay-Team zur Feier eingeladen. Das waren 450 Essen!

Was waren die schönsten Erlebnisse? Sowohl im Projekt insgesamt als auch persönlich für Sie selbst?
Al Bosta: Mir hat die Dankbarkeit und das Lächeln der Menschen im Dorf sehr gut gefallen. Das tägliche Verabschieden der Kinder am Abend, die winkend unserem Multicab nachrannten und „bye-bye“ riefen, war auch immer ein schönes Erlebnis. Eine scheinbare Kleinigkeit war ein weiteres Highlight: Als nämlich das erste drehbare Fassadenelement eingebaut war und es sich tatsächlich ohne Probleme auch wirklich drehte. Dann hat mich die Einbindung und Partizipation der indigenen Bevölkerung beeindruckt: Als die 25 Leuchten, die unsere Student*innen mit den Frauen im Dorf zusammen geflochten hatten, das erste Mal am Abend leuchteten, war das ein besonderer Moment.
Neff: Berührend war auch die Motivation, die Begeisterung und die Hilfsbereitschaft der Student*innen zu sehen. Alle waren sehr offen und haben immer versucht, Kontakte zur indigenen Bevölkerung zu knüpfen und mit den Kindern zu spielen. Es sind Freundschaften zwischen den philippinischen Helfern und unserem Team und den Student*innen entstanden. Wir halten weiterhin den Kontakt zu ihnen und versuchen, sie weiter aus Deutschland zu unterstützen. Vor ein paar Tagen gab es eine große Spendenaktion der Student*innen für einen Dorfbewohner, der medizinische Hilfe braucht.
Al Bosta und Neff: Die Freude, dass wir das, was wir fast zwei Jahre geplant haben, nun auch tatsächlich realisieren konnten, war bei uns sehr groß. Und möglich wurde das letztlich durch die tolle Arbeit in interdisziplinären Teams.

Was waren die größten Überraschungen: positiv wie negativ?
Al Bosta: Dass trotz aller Zweifel alles gut funktioniert hat, war tatsächlich für mich eine Überraschung. Und ja: Ich habe nicht gewusst, wie superhart Tropenholz sein kann und wie sehr es die Bezeichnung „Iron Wood“ verdient.
Neff: Positiv: wie geschickt und kreativ die Filipinos auf der Baustelle waren und wie schnell es immer eine Lösung gab. Die Filipinos haben großes Fachwissen, von dem wir profitieren konnten. Wir haben viel von ihnen gelernt. Die Zusammenarbeit zwischen Student*innen und Filipinos hat trotz Sprachbarrieren super geklappt. Das war beeindruckend.
Al Bosta: Negativ: Die Materialbeschaffung machte uns große Probleme. Es war sehr schwer, passendes Werkzeug und Baumaterial wie z.B. Schrauben zu finden. Dass der Bambus und das Holz krummer sind als gedacht, hat uns viel Mühe bereitet. Fast schon vergessen habe ich, dass es in den ersten Tagen unfassbar viel geregnet hat. Dennoch mussten wir die Arbeit auf der Baustelle fortsetzen. Dabei war alles andere als ungefährlich auf dem nassen glatten Bambus in vier Meter Höhe zu arbeiten.
Neff: Und der Schock, als sich eine Kobra auf der Baustelle schlängelte; da waren wir alle erschrocken und verängstigt. Passiert ist glücklicherweise nichts.

Hat das Projekt Vorbildcharakter für weitere studentische Projekte und warum?
Al Bosta: Ja natürlich. Das war ein richtiger Crash-Kurs, in dem Fachwissen und soziale Kompetenzen erworben wurden.
Neff: Durch die fünfwöchige Realisierung vor Ort auf den Philippinen (vom 11. Februar bis zum 14.März) gehen solche Selbstbauprojekte weit über die klassische Ausbildung an den Hochschulen hinaus. Das ist etwas ganz Besonderes, was wir an der Hochschule Kaiserslautern immer wieder schaffen. Zu den Besonderheiten zählt auch das studiengangsübergreifende Zusammenarbeiten in interdisziplinären Teams.

Wie haben die Student*innen vom Mitmachen profitiert?
Al Bosta: Die Arbeit im interdisziplinären Team hat alle vorangebracht: Sowohl die Student*innen aus den verschiedenen Studiengängen Architektur, Innenarchitektur und Bauingenieurwesen untereinander, als auch in besonderem Maße die Zusammenarbeit mit der indigenen Bevölkerung. Und alle haben handwerkliche Fähigkeiten erworben.
Neff: Nicht zu vernachlässigen ist, dass belastbare Freundschaften entstanden sind.

Was haben die Student*innen gelernt?
Al Bosta: Die Frage möchte ich mit einer Aufzählung beantworten, denn die Learnings waren vielfältig:

  • Entwerfen, Planen und Bauen nicht nur in Plänen und Modellen, sondern auch am konkreten Bauwerk im Maßstab 1:1
  • Theorie, Forschung und Praxis verknüpfen
  • ein ästhetisch anspruchsvolles Projekt in einem großen interdisziplinären Team, mit kleinem Budget und einem engen Zeitrahmen von nur fünf Wochen in einem fremden Land zu realisieren
  • die Studiengänge im Fachbereich Bauen und Gestalten vernetzen
  • experimentelles, produktorientiertes und wissenschaftliches Arbeiten fördern
  • die unterschiedlichen Fähigkeiten aus den drei Studiengängen wie z.B. Kreativität, Gestaltung, Konstruieren und technische Umsetzung bündeln
  • Einsehen, dass man bei solchen Projekten nicht immer nach Bauplänen bauen kann und ständig improvisieren muss

Was haben Sie bei dem Mamanwa-Projekt gelernt?
Neff: Auch ich möchte mit einer Aufzählung antworten. Wir haben gelernt:

  • Umgang mit dem nachhaltigen Baustoff Bambus
  • Anwendung bewährter lokaler Baumaterialien, Bautechniken und Handwerksfähigkeiten in Kombination mit moderner verbesserter Technik, neuen Baustoffen und Konstruktionsprinzipien
  • Erweiterung des Interesses für nachhaltige Bauweisen und den Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen
  • Sensibilisierung im Umgang mit indigenen Bevölkerungen
  • Bewertung der Lernerfahrung im Team an einem kulturell fremden Ort
  • Einblicke und Analyse der humanitären Arbeit von gemeinnützigen Vereinen
  • Förderung der kollektiven und kooperativen Teamarbeit
  • Lösung von Problemen, die auf der Baustelle entstehen und eine schnelle Reaktion
  • erfordern
  • positiver Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung durch einen mehrwöchigen Aufenthalt in einem anderen Kulturraum

Und ich habe noch eine ganz persönliche Erkenntnis mitgenommen: Zu sehen, in welchen Behausungen die Bevölkerung lebt, erdet.

Was ist Ihnem besonders wichtig der Öffentlichkeit und der Hochschul-Öffentlichkeit mitzuteilen?
Brigitte Al Bosta und Carina Neff: Es sollten auch in Zukunft solche Projekte unterstützt werden. Wir alle haben sehr viel gelernt und sind zusammengewachsen. Der Aufwand ist allerdings gerade an einer Hochschule für das leitende Team enorm und kaum zu bewältigen. Wir danken daher den Student*innen für ihren Einsatz, unserem Team für die großartige Zusammenarbeit sowie der Hochschule und der Verwaltung für die Unterstützung. Und wir sagen vielen Dank für die vielen Spenden, ohne die ein solches Projekt nicht möglich gewesen wäre.

 

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Impressionen von der Baustelle

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